Sonntag, 22. September 2013

HORST

(die tanzenden Urnen)

Horst war 34, Frührentner und zu nichts zu gebrauchen. Er war ein altgewordenes, dickes Kind, das immer stark schwitzte und roch. Zahlreiche Gebrechen hatten ihn früh "verrented". Horst wohnte noch bei seiner "Frau Mutter" in seinem Bubenzimmer mit der bunten Tapete, seinen Spielsachen und seiner elektrischen Eisenbahn, die er sich von seinem Taschengeld mühsam zusammengepart hatte.
Seine Mutter sorgte für ihren Bub. Sie kochte und wählte die Kleider für ihn aus. Die Mutter achtete darauf, daß ihr Sohn immer sauber und anständig angezogen war. Modische Kleidung, so befand sie, passe nicht zu ihrem Horst. Da dieser infolge der vielen Süßigkeiten ziemlich rundlich war, spannten seine Hosen am Bauch und "meldeten Hochwasser".
Mit Weibspersonen hatte Horst nichts. "Das ist nichts für einen anständigen Jungen!" und "Tu mir das nicht an!", pflegte sein Mütterchen zu sagen.
Als seine Mutter starb, war Horst völlig "aufgeschmissen". Um seiner Mutter nahe zu sein, bezog er ein Dachzimmer mit Blick auf den Friedhof. Wenn er den Kopf aus dem Dachfenster herausstreckte, was ihn einige Mühe kostete, hatte er einen schönen Blick auf das Urnengrab der Mutter. Die Vermieterin, eine häßliche Altersrentnerin, legte wert auf einen sauberen jungen Mann, der es nicht mit den Frauenzimmern hatte und nicht trank. Ab und zu trank Horst jedoch ein Bier, was ihm die Mutter strengstens untersagt hatte. Einmal mußte er 100mal schreiben: "Horst darf solches nicht tun."
Die Jahre vergingen und Horts wurde in seiner Dachstube immer dicker und feister. Dennoch hütete er sich vor dem Lüften. Denn seine Mutter sel. pflegte zu sagen: "Halt dich immer schön warm!"
Ab und zu goß er das Grab der Mutter. "Daß du dich bloß um mein Grab kümmerst!" hatte sie immer gesagt. Horst zog also seine "Friedhofsschuhe" an, nahm die grüne Gießkanne und schnaufte die 6 Stockwerke hinunter.
Bald hatte sich der scheue Horst mit dem Friedhofsgärtner angefreundet. Beide verband die Liebe zur "Friedhofskunde". Oft sprachen sie stundenlang über Grabpflege. Doch dann starb auch dieser, und Horst vereinsamte vollends. Er ging nur noch abends auf den Friedhof und kam manchmal im Morgengrauen zurück.
Eine 86-jährige Mitbewohnerin sagte: "Ich hörte den Herrn Horst immer morgens auf der Treppe. Da hat er meistens mit sich selber gesprochen und mit den Händen gefuchtelt. Ist aber ein anständiger junger Mann, der Herr Horst. Hat nie Weibspersonen mit auf dem Zimmer.
Eines Abends ging Horts wieder auf den Friedhof. Es war schon ziemlich duster. Die ewigen Lichter am Grab spendeten ein dämmeriges Licht. Da plötzlich bemerkte Horst, daß die Urnen über den Gräbern schwebten und sich in einem lustigen Reigen umeinander drehten. Dazu ertöne schauerliche Musik. Es roch nach frischer Erde. Horst fiel auf, daß kein Vogel mehr sang! Da befiel ihn namenloser Schrecken. Auf der Urne der Mutter leuchtete plötzlich eine grüne Leuchtschrift. Horst las die Schrift und erstarrte. Sie lautete: "Bist du auch schön brav gewesen, Bub?" Da packte es Horsten und er stob davon.
Als man später sein Zimmer ausräumte, fand man viele Heftchen pornographischen Inhalts. Die 86-jährige Mitbewohnerin meinte: "Das hätt' ich von dem Herrn Horst nicht gedacht. So ein netter junger Mann, so zurückhaltend und dann diese gräßlichen Heftchen, pfui Teufel!
Horst bekam Haldol und wurde in ein Sanatorium eingeliefert. Dort starb er mit 44 Jahren an Herzverfettung. Die Urnen tanzten nie wieder.
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R.